[long-ish German
post beneath the cut]
Um die im Titel
gestellte Frage überhaupt annähernd beantworten zu können (und
nicht mehr als eine annähernde Beantwortung kann ich in diesem Post
anstreben) sind nicht weniger als vier (genauere)
Begriffsdefinitionen nötig, eine pro Wort.
“Fluch”
und “Segen” stehen hier wohl nur recht pauschal für
Schlechtes bzw. Gutes, was wiederum Definitionssache ist und von
ethischen Grundvoraussetzungen abhängt. Hier werde ich meine
ethischen Grundsätze dafür heranziehen, nach denen (grob
gesprochen) Freude und Freiheit gut sind, Leid und Einschränkungen
schlecht.
Verbunden werden sie
durch das Wörtchen “oder”, das umgangssprachlich
meist als exklusives oder (entweder dieses oder jenes) interpretiert
wird, logisch allerdings inklusiv ist (dieses und/oder jenes). Welche
Bedeutung hier angemessener ist bleibt abzuwarten.
Fehlt noch ein
Begriff. Was ist Arbeit?
Die Physik kennt
mehrere Bedeutungen des Arbeitsbegriffs, auf die ich hier nicht näher
eingehen werde. Computer, Waschmaschinen, Heizungen, Autos und
zahlreiche andere Gerätschaften des täglichen Lebens – sie alle
leisten Arbeit. Ebenso Überwachungskameras, Schusswaffen und
Drohnen, und natürlich auch Spielkonsolen, Taschenrechner,
Babypuppen die lachen wenn man sie kitzelt, und Radios.
Spätestens jetzt
müsste klar sein, dass das “oder” in diesem Fall wohl ein
“und/oder” sein sollte: maschinelle Arbeit aller Art kann
sowohl Fluch als auch Segen sein. Kleidung und Bettzeug oder auch
Geschirr immer per Hand waschen zu müssen würde weder mehr Freiheit
bedeuten noch den meisten Leuten Freude bereiten, auch wenn es für
viele (weltweit gesehen) Alltag sein mag. Von einem Auto überfahren
zu werden hingegen ist wohl eher Fluch als Segen (gewisse gestresste
Student_innen in der Prüfungszeit vielleicht ausgenommen, wenn die
Verletzungen nicht allzu schlimm sind).
Allerdings ist die
Sachlage auch in Bezug auf Waschmaschinen und Geschirrspüler etwas
komplexer als man auf den ersten Blick vermuten würde. Die
subjektive Leichtigkeit der (ja fast ausschließlich von der Maschine
verrichteten) Arbeit und die schlechte Überschaubarkeit der dadurch
verbrauchten Ressourcen beispielsweise könnten zu allzu sorglosem
und unbedachtem Umgang damit führen, die auf lange Sicht auf uns
alle als Fluch zurückfallen. Und wieviele Leute würden im Winter
vielleicht lieber noch einen Pulli überziehen als stärker zu
heizen, wenn sie dazu selbst Holz hacken und schleppen müssten?
Schon diese Arbeit selbst zu verrichten würde wohl etwas wärmen.
Menschliche
Arbeit lässt sich
nach unterschiedlichen Kriterien einteilen. Eine Einteilung nach der
Art der Anstrengung ergibt grob folgende drei Kategorien:
- körperliche
Arbeit: erfordert vor allem körperliche Kraft und Ausdauer, zB.
Möbelschleppen, Kisten stapeln, Post austragen, putzen, sportliche
Leistungen aller Art…
- geistige
Arbeit: erfordert vor allem kognitive Anstrengung, also planen,
berechnen, erfinden, schreiben, recherchieren, untersuchen…
- Gefühlsarbeit:
erfordert Anstrengung beim Regulieren eigener sowie beim Erkennen
und evtl. Manipulieren anderer Gefühle, zB. im Verkauf und bei
allen Arten von Kundenservice, aber auch bspw. bei Lehrtätigkeiten
(Geduld mit Schüler_innen, Erkennen und Berücksichtigen ihrer
Bedürfnisse), im psychischen wie physischen Gesundheitsbereich und
sonstigen Tätigkeiten, bei denen zwischenmenschlicher Kontakt
wesentlich ist.
Die eigentlichen
Tätigkeiten nehmen meist mehr als eine Kategorie in Anspruch – Hilfe
bei einem Umzug mag viel körperliche Arbeit erfordern, aber
möglicherweise auch ein gutes Stück geistige Arbeit, wenn es darum
geht, das Transportgut sinnvoll und platzsparend einzupacken und/oder
unterzubringen, Möbel ab- und wieder aufzubauen etc., und
möglicherweise auch etwas Gefühlsarbeit, wenn man Mithelfer_innen
motivieren (oder, wenn man sie nicht sonderlich leiden kann,
freundlich tolerieren) zu können.
Jede Kategorie hat
außerdem ihren Nutzen und enthält Tätigkeiten, die viele Menschen
rein zum Vergnügen ausüben.
Körperliche Arbeit
kann die (körperliche und geistige) Gesundheit verbessern und
erhalten, und ist in Form zahlreicher Sportarten ein beliebtes
Freizeitvergnügen. Zusätzlich eröffnet sie oft neue
Handlungsmöglichkeiten, die ihrerseits wiederum Freude bereiten –
mit verbesserter Kondition kann man lohnende Wanderungen unternehmen,
mit mehr Muskelkraft schwerere Gewichte heben (was manchen aus mir
unerfindlichen Gründen Spaß macht), mit verbesserter Flexibilität
ganz neue Bewegungen ausführen.
Ebenso kann geistige
Arbeit kognitive Fähigkeiten verbessern und erhalten, hilft Probleme
zu lösen und ist oft selbstbelohnend, bspw. in Form befriedigter
Neugier oder durch die Problemlösung selbst. Die Beliebtheit von
Kniffelspielen wie Kreuzworträtsel und Sudoku sind ein
eindrucksvoller Beweis dafür, dass zahlreiche Menschen an geistiger
Arbeit (zumindest in diesen bestimmten Formen) Spaß haben.
Gefühlsarbeit ist –
wie vielleicht schon durch die Beschreibung ersichtlich – in allen
sozialen Interaktionen und Beziehungen wichtig, sei es zu anderen
Menschen (Familienmitgliedern wie bspw. den eigenen Kindern,
Freund_innen, romantischen Partner_innen,…) oder nicht-menschlichen
Tieren, und diese wiederum sind ein menschliches Grundbedürfnis.
Gefühlsarbeit greift außerdem auf andere wertvolle Fähigkeiten
zurück und trainiert diese – unter anderem die Fähigkeit, die
innere Erfahrungswelt anderer Menschen (möglichst) korrekt zu
modellieren, Empathie und die Regulierung eigener Gefühle.
Eine andere
Kategorisierungsart von Arbeit ist die nach Erwerbsarbeit vs.
unbezahlter Arbeit. Oft ist Arbeit umgangssprachlich nur ein Synonym
für Erwerbsarbeit: arbeitslos, arbeitssuchend und arbeitsunfähig
beziehen sich alle auf Erwerbsarbeit – logisch, niemand ist
arbeitslos nach den oben genannten Definitionen. Diese
Kategorisierung mag zwar soziologisch sinnvoll sein, nicht aber wenn
es um die Tätigkeit selbst geht: ob eine Tätigkeit Erwerbsarbeit
darstellt oder nicht hängt schließlich einzig und allein davon ab,
ob man dafür bezahlt wird oder nicht, und nicht von Merkmalen der
Tätigkeit selbst. Ist ein Buch zu schreiben denn nur dann Arbeit,
wenn man es hinterher auch veröffentlicht und (gut) verkauft
bekommt? Sind Hausarbeit und Gartenarbeit nur dann Arbeit, wenn man
sie an einem Ort verrichtet, der jemand anderem gehört, der einen
dafür bezahlt? Ist Reproduktionsarbeit – Kinder zu beaufsichtigen
und zu erziehen – nur Arbeit, wenn die Kinder jemandem anderen
“gehören”?
Ähnlich häufig wie
für Erwerbsarbeit steht Arbeit für jede Tätigkeit, die (manchmal)
als mühsam und unangenehm empfunden wird, etwa in der Aussage, dass
etwas – ein Hund, ein Garten, ein Kind, ein Haus – viel Arbeit mache.
Diese umgangssprachlichen Gepflogenheiten mögen nicht ganz
unabhängig voneinander sein: wenn man eine mühsame und
unerfreuliche Arbeit erledigt braucht, muss man vielleicht eher Leute
dafür bezahlen als für eine recht angenehme.
Allerdings liegen
Mühe und Unerfreulichkeit oft nicht in der Tätigkeit selbst,
sondern den Umständen und/oder der Passung von Tätigkeit und
Tätigen. Wahrscheinlich würden sich nicht viele Leute hobbymäßig
zu einer pausenlosen 12-Stunden-Schicht in einer fensterlosen,
heißen, lauten und unbequemen Nähfabrik einfinden, trotzdem ist
Nähen sowohl selbst ein Hobby als auch Teil vieler anderer Hobbys
(LARPing und Cosplays beispielsweise). Für manche Leute wäre ein
Job als Strandanimateur_in (körperliche und Gefühlsarbeit) ein
Traum, für andere ein Alptraum.
Zu guter Letzt ist
auch kontextabhängig, ob eine überwiegend (d.h. unter den meisten
Umständen und für die meisten Leute üblicherweise) mühsame und
unerfreuliche Tätigkeit an sich in Summe eher Fluch oder Segen ist.
Öffentliche Klos zu putzen ist wahrscheinlich auch unter den besten
Umständen eher unangenehme Pflicht als Freizeitbeschäftigung, aber
ungeputzte öffentliche Klos sowohl selbst ein Fluch für ihre
Benutzer_innen als auch ein erhebliches Gesundheitsrisiko – Arbeit
ist hier also die bessere Alternative.
Eine noch bessere
Alternative könnte natürlich in vollautomatisierter Kloreinigung
bestehen. Da wäre die logische Frage, was die bisherigen
Kloputzer_innen jetzt machen – wenn sie leer ausgehen und mit Hunger,
Obdachlosigkeit etc. zu kämpfen haben ist die Erwerbsarbeit als
Kloputzer_in vermutlich die bessere Alternative, wenn sie von
bedingungslosem Grundeinkommen ganz passabel leben und sich für sie
angenehmerer Arbeit (wie Krafttraining oder leidenschaftlichem
Computerspielen) widmen nicht, und wenn sie stattdessen
Wartungsarbeit für Kloputzroboter leisten kommt’s drauf an, ob sie
das als angenehmer und/oder müheloser empfinden.
Natürlich könnte
man jetzt noch viel geistige Arbeit in Recherche zu empirischer
Forschung darüber stecken, wie Menschen durchschnittlich zu ihrer
Erwerbsarbeit stehen, das über Branchen, Länder, Geschlechter,
soziale Schichten usw. hinweg vergleichen und ganze Bücher darüber
schreiben, aber ich beende diesen Post stattdessen mal ganz faul.
Vielleicht ein andermal. Ich stecke lieber noch ein bisschen geistige
Arbeit in ein paar Partien Mastermind, und dann wohl etwas
körperliche Arbeit in Duschen, Zähneputzen und Schlafengehen. (Ja,
auch das ist körperliche Arbeit! Ich muss dazu eine Leiter
raufklettern!) Ganz allgemein ist die Titelfrage jedenfalls sicher wie folgt zu beantworten: “Arbeit – Fluch oder Segen”, mit inklusivem Oder.